Eat it! by Dirk Steffens & Marlene Göring

Eat it! by Dirk Steffens & Marlene Göring

Autor:Dirk Steffens & Marlene Göring [Steffens, Dirk & Göring, Marlene]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fach-/Sachbuch
Herausgeber: Penguin Verlag
veröffentlicht: 2023-10-04T00:00:00+00:00


Staub zu Staub

Es ist ja nicht so, dass wir das alles nicht schon wissen könnten, sollten und müssten. Schließlich torkelt nicht zum ersten Mal in der Geschichte eine Gesellschaft Richtung Abgrund, weil sie den Boden vergewaltigt, weil sie ihm zu viel abpresst, in der irrigen Annahme, der Erde ihren Willen aufzwingen zu können. So etwas geht nie lange gut. In Mittelamerika verschwand die Hochkultur der Maya vor über tausend Jahren – abgeholzte Wälder und intensiver Maisanbau hatten die Böden ausgelaugt, sie hatten Regen, Wind, Hitze und Trockenheit nichts mehr entgegenzusetzen. Vor 500 Jahren verlor das Reich von Angkor in Asien seine Macht, auch hier folgte der Niedergang auf eine Phase extrem intensiver Landwirtschaft, für die Natur zerstört und der natürliche Wasserkreislauf umgestaltet wurde. Die Liste der menschengemachten Katastrophen ist lang und reicht bis in die jüngste Vergangenheit. Irland – im dritten Kapitel ist das beschrieben – wurde mitten in der Industrialisierung zum Notstandsgebiet, weil auf den Feldern statt Vielfalt ein krankheitsanfälliges Kartoffel-Einerlei angebaut wurde. Trotz dieser Erfahrung reduziert die Agrarindustrie die Zahl der Nutzpflanzenarten immer weiter und setzt auf Monokulturen, um großen Landmaschinen den Weg zu ebnen. Sogar die mächtigste Nation des 20. Jahrhunderts wurde Opfer dieser bäuerlichen Hybris:

There was no one in the town and no one in the field

This dusty barren land had given all it could yield …

… heißt es in einem Song der Band Mumford & Sons. Der Titel des Liedes: »Dust Bowl Dance«, Staubschüssel-Tanz. Er erzählt vom Elend der Menschen in den Präriestaaten der USA, als in den 1930er-Jahren Dürren und Staubstürme das Land verheerten. Hunderttausende verloren ihre Existenzgrundlage. Unzählige Farmerfamilien mussten ihre Höfe verkaufen, endlose Kolonnen von notleidenden Tagelöhnern zogen übers Land. In Früchte des Zorns hat John Steinbeck diesen Menschen ein literarisches Denkmal gesetzt. Und Mumford & Sons singen:

Align my heart, my body, my mind

to face what I’ve done and do my time.

»To face what I’ve done and do my time«, das klingt nach Schuldeingeständnis und einer gerechten Strafe, die es abzusitzen gilt. Tatsächlich hat sich die fruchtbare Prärie nicht plötzlich und ganz von allein in eine Staubwüste verwandelt. Periodische Wetterschwankungen spielten dabei eine Rolle, vor allem aber war es Menschenwerk. Gedankenlose Landwirtschaft mit einem blinden Glauben an ewiges Wachstum. Die Landschaft der Great Plains im Mittleren Westen schien ja auch wie geschaffen für den amerikanischen Traum: endlose Weite, endlose Möglichkeiten.

Bevor die weißen Siedler im 19. Jahrhundert in der Prärie ihre Farmen anlegten – auch hier mit Gewalt, auf Kosten der Indigenen, genau wie heute in Brasilien –, zogen etwa 60 Millionen Bisons über die Great Plains. Sie wanderten ständig umher, grasten immer nur kurz an einem Ort, was das Büffelgras hoch und stark und die Wurzeln tief wachsen ließ (zu diesem Mob Grazing kommen wir später noch). Um den Indigenen ihre Nahrungsgrundlage zu nehmen und Platz für Farmen zu schaffen, starteten die europäischen Neuankömmlinge eine Vernichtungsjagd. Am Ende waren nur noch ein paar Tausend Bisons übrig. Weil niemand ahnte, welche Rolle sie für das Überleben des Graslandes spielten, ahnte auch niemand, welche Folgen ihre Ausrottung haben würde.



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